Ein militärhistorischer Überblick

Yuval Noah Hararis populärwissenschaftliche Betrachtung mittelalterlicher Sonderkommandos Fürsten im Fadenkreuz ist ein zweigeteiltes Werk. Im ersten Kapitel, das etwa ein Drittel des Gesamtumfangs einnimmt, differenziert Harari unterschiedliche Begrifflichkeiten und Konzepte im Kontext militärischer Kommandos.

Damit grenzt er verdeckte Geheim- von regulären Operationen ab, setzt sie in einen politik- und moralhistorischen Kontext des eurasischen Mittelalters und zieht nicht zuletzt Vergleiche zur Moderne. Bewusst ausgeklammert werden dabei Operationen zur See, da diese nochmal ganz eigenen Spezifikationen unterliegen. Im zweiten Teil des Buches reproduziert Harari eine Auswahl von sechs mehr oder weniger gut belegten Manövern, allesamt unterschiedlich in ihrer jeweiligen Motivation, den Voraussetzungen, den Durchführenden und ihres Erfolgs, bevor er abschließend einen Ausblick auf künftige Forschungsansätze gibt.

Eine Mischung aus Sachbuch und Erzählung

Fürsten im Fadenkreuz ist eine populärwissenschaftliche Niederschrift von Forschungserkenntnissen, die sich leider auch dadurch auszeichnen, dass sie auf lückenhaften und wenig belastbaren Zeitzeugenberichten sowie Plausibilitätsinterpretationen beruhen. Damit kann das Buch ipso facto nichts anderes sein als eine Mischung aus Fachbuch und Erzählung, das diesen Anspruch jedoch gut meistert. Zwar fehlt dem Buch auf Grund der schwachen Quellenlage die Tiefe eines belastbaren Forschungsberichts und mit Blick auf die Faktenbreite, mit der Harari seine Beispiele umrandet, an manchen Stellen auch die belletristische Spannung. Doch darin liegt die Stärke des Buches, denn es gelingt ihm, nicht nur mit einigen romantisch verklärten Vorstellungen aufzuräumen, sondern ein in der horizontalen Breite umfassendes Verständnis der mittelalterlichen Kriegsführung aufzubauen. Es wird auf sehr plausible Art dargelegt, wie der an Idealen orientierte ritterliche Moralkodex dafür sorgte, dass meuchelmörderische Aktionen trotz ihrer erwiesenen Wirkung und ihres unschlagbaren Kosten-Nutzen-Verhältnisses die Ausnahme blieben, und wie das bis in die heutige Zeit nachhallt. Außerdem wird ausführlich erklärt, warum insbesondere Anführer und Befestigungsanlagen als Ziele infrage kamen – und wer als Täter respektive Ausführende. 

Ein Grundregelwerk zum Verständnis des Mittelalters

Auf dieser Grundlage aufbauend geht Harari dann auf sechs Beispiele von Geheimoperationen ein und nimmt dabei jeweils stets wieder umfassend Bezug auf die allgemeine Einordnung des Geschehens in den zeitpolitischen Kontext, damit verbunden die jeweilige Vor- und Nachgeschichte der Aktion und letztlich auch die individuelle Motivation, mit der die Akteure agiert und reagiert haben.

Damit eröffnet Fürsten im Fadenkreuz vor allem neue Sichtweisen auf Truppenoperationen und ihre Ausbildung, die territorialen Strukturen und Loyalitätsprinzipien sowie die politischen Mechaniken des Mittelalters beziehungsweise der frühen Neuzeit. Man kann sagen, die titelgebenden Geheimoperationen sind damit nur der thematische Aufhänger, um das allgemeine Verständnis der europäischen Geschichte, die im Wesentlichen eben durch reguläre und teils verdeckte militärische Geschehnisse bestimmt wurde, zu sortieren beziehungsweise zu korrigieren. Und unter diesem Gesichtspunkt ist Fürsten im Fadenkreuz schließlich nicht weniger als anschauliche und leicht verdauliche, weil vorsortierte Basisliteratur; eine sehr empfehlenswerte Lektüre für alle, die sich mit dem Mittelalter befassen und ein Gefühl für die Dynamiken dieser Epoche bekommen möchten, ohne von zu trockener Materie erstickt zu werden. 

Bibliografische Angaben

Titel: Fürsten im Fadenkreuz – Geheimoperationen im Zeitalter der Ritter 1100-1550
Autor: Yuval Noah Harari
Genre: Populärwissenschaft
Verlag: C.H.Beck
ISBN: 978-3-406-75037-3
Erscheinungsdatum: 2020
Format (Umfang): Hardcover (347 Seiten)