Von Zeit, Seelen und Wiedergeburt
David Mitchells Die Knochenuhren lässt zunächst eine lineare Story über die Protagonisten Holly Sykes vermuten. Nach dem ersten Teil aus Hollys Perspektive stellt man schnell fest, dass das Buch mehr zu bieten hat.
Die Knochenuhren ist in sechs Teile aufgesplittet, die jeweils aus der Sicht verschiedener Protagonisten zu verschiedenen Zeitpunkten spielen: Hitzewelle 1984; Mein ist die Myrrhe, ihr bitterer Duft 1991; Die Hochzeitsfeier 2004; Crispin Hersheys einsamer Planet 2015; Das Labyrinth des Horologen 2025; Sheep’s Head 2043. So lernen wir verschiedene Personen aus Hollys Leben, deren Bedeutungen und Blickwinkel kennen. Dabei geht es jedoch um weitaus mehr als eine rebellische Teenagerin, auch wenn sich Hollys Leben als roter Faden durch den gesamten Roman zieht. Die Knochenuhren ist im Bereich Sci-Fi und Fantasy angesetzt und umfasst Themen wie Seelen, das Konstrukt der Zeit und Übersinnliches. Man erlebt nicht nur die Entwicklung und Alterung von Holly als Person mit allen Höhen und Tiefen mit, sondern auch die der Gesellschaft und des jeweiligen besonderen Sprachbilds der einzelnen Epochen.
Eine Reise durch Hollys Leben und die Schwachstellen der Menschheit
Bei Mitchells Die Knochenuhren ist es, als würde man mehrere verschiedene Bücher lesen oder Folgen einer Serie schauen, die alle unterschiedlich sind und doch zusammenhängen. Die über 800 Seiten lassen sich sehr schnell lesen – man möchte das Buch gar nicht aus der Hand legen. Besonders spannend sind die Anfänge der jeweiligen Teile. Bei jedem ist man gespannt, in wessen Kopf man steckt und an wessen Gedanken man dieses Mal teilhaben darf.
Mitchell schafft es, so viele kleine Hinweise und Details im gesamten Roman zu streuen, die wie ein Netz aus vielen roten Fäden zur entsprechenden, sie alle verbindenden Stelle zusammenführen. Zwischendrin gibt es ein paar sehr politisch beladene Stellen, die sehr ausladend sind und sehr kritisch erzählt werden. Sie sind der Story in diesem Ausmaß nur bedingt zuträglich und erschweren eher den Lesefluss.
Die ersten Teile des Buches beziehen sich zum Großteil auf Holly, ihre Begegnungen und ihre übersinnlichen Erlebnisse. Mitchell schaffte es, sie nicht zu esoterisch wirken zu lassen und formuliert sehr gelungen und mitreißend. Das letzte Kapitel bricht mit allen zuvor im Buch aufgekommenen Emotionen und erreicht nochmal eine ganz eigene Ebene. Mitchells Die Knochenuhren regt im Ganzen auf so viele Weisen zum Nachdenken an, aber das letzte Kapitel setzt allem noch einmal die Krone auf. Der Autor scheut keine Mühen, eine Dystopie aufzubauen, die sämtliche Register zieht. Mein erster Gedanke nach dem Zuklappen: Wow, was für ein Buch. Das hatte ich zu Beginn überhaupt nicht erwartet!
Sicher wäre auch dieses Buch eine hervorragende Grundlage für eine Verfilmung. Die Knochenuhren hält definitiv mit Mitchells Der Wolkenatlas mit. Hier geht’s zur entsprechenden Rezension.
Bibliografische Angaben
Titel: Die Knochenuhren
Autor: David Mitchell
Genre: Roman
Verlag: Rowohlt Taschenbuch Verlag
ISBN: 978-3-499-27048-2
Erscheinungsdatum: 2017
Format (Umfang): Taschenbuch (816 Seiten)