Eine kommentierte Chronologie der Schatzjagd nach Homers Troja
Frank Vorpahls Schliemann und das Gold von Troja ist ein chronologisch aufgearbeiteter Bericht über das Streben und Wirken von Heinrich Schliemann, der sich auf den Spuren von Homer auf die Suche nach Troja gemacht hat.
Und das ist tatsächlich wortwörtlich zu verstehen, denn das klassische Epos ist in weiten Teilen die inhaltliche Grundlage für Schliemanns Recherchen und Interpretationen. Frank Vorpahl nimmt für seine Aufarbeitung der Geschehnisse die persönlichen Tagebucheinträge und die Korrespondenz des deutschen Archäologie-Autodidakten als Grundlage und vermischt so die subjektive Position des Forschers mit einer objektiven Einordnung in professionelle, aktuelle Bewertungsmaßstäbe.
Spannend, unterhaltsam, kritisch differenzierend
Die Sprache ist dabei relativ nüchtern gehalten, was jedoch nicht bedeutet, dass Schliemann und das Gold von Troja ein trockenes Sachbuch ist. Im Gegenteil: Vielmehr lässt der Autor über Kommentare und Zwischenbemerkungen durchaus eine gewisse subjektive Wertung einfließen – und das dabei teilweise augenzwinkernd und ironisch, wodurch das Buch insgesamt unterhaltsam und leicht zu lesen ist. Trotz einer enormen Fülle an Fakten und Querverweisen.
Dem Autor gelingt es so, das Geschehen um Schliemann zum einen in den zeitgenössischen Kontext und zum anderen in dessen persönlichen wie charakterlichen Voraussetzungen einzubetten, wodurch ein sehr lebendiges Bild gezeichnet wird.
Dazu zählt auch, dass – wie zur betreffenden Zeit tatsächlich auch geschehen – Schliemann und seine Ambitionen zu Beginn belächelt werden. Im Verlauf stellt Vorpahl Schliemanns Wirken und Interpretationen jedoch infrage und folgt dem zeitgenössischen Diskurs und Disput, dem sich auch Schliemann stellen musste.
Das wiederum sorgt dafür, dass mit dem Mythos Schliemann nicht weniger als aufgeräumt wird. Nicht in dem Sinne, dass sein Wirken komplett negiert und seine Erfolge der Nichtigkeit preisgegeben werden, sondern, dass in angemessener Weise kritisch hinterfragt und beleuchtet wird, was man weiß, was nicht, und wie dieses Delta zu deuten ist. Das Buch entpuppt sich damit als eine sachliche, nachvollziehbare Chronologie, die nicht ohne charmante Zwischentöne den Zauber, dem Heinrich Schliemann und all jene, die ihm in seinem Wirken folgten, beleuchtet und das Tatsächliche von dem (Un-)Möglichen abgrenzt.
Eine zweite Odyssee und warum sich Geschichte wiederholt
Das letzte Kapitel des Buches ist schließlich dem Verbleib der Schliemannschen Funde nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs gewidmet. An Spannung steht dieses Kapitel den anderen in nichts nach und trumpft zudem, befreit von der Schliemannschen Perspektive, durch ein hohes Maß an Weitblick, Einblick und Vorausblick auf.
Im Fokus steht dabei die Odyssee der Museumsstücke, das Mysterium um ihr Verschwinden während der Zeit der UdSSR und ihrem aufsehenerregenden Wiederauftauchen in den Neunzigerjahren. Hierbei wird die für alle beteiligten Seiten wenig schmeichelhafte Diskussion über die Besitzverhältnisse aufgegriffen und im letzten Abschnitt als Frage, als Vorschlag formuliert, was nach normalem Ermessen die Lösung des internationalen Konflikts zwischen Deutschland, Russland und der Türkei sein könnte. Denn lässt man jedwede persönlichen Befindlichkeiten, jedes Ego und jedes Beharren auf Prinzipienentscheidungen außer Acht, so Vorpahls Conclussio, ist der einzig richtige Weg die Rückgabe der ausgegrabenen Schätze an ein Museum, das direkt vor Ort dem Zauber, den Homers Odyssee seit Jahrhunderten ausstrahlt, gewidmet ist. Das Buch schließt so mit einer ganz wunderbaren Weise ab, mit einer Vision eines gemeinsamen Miteinanders, eines Erfreuens an Kunstwerken und der kollektiven Hingabe an Mysterien.
Und so ist Frank Vorpahls Schliemann und das Gold von Troja nicht nur eine kurzweilige Nacherzählung einer der bemerkenswertesten deutschen Schatzjagden, sondern auch eine Abrechnung mit der westlichen Doppelmoral im Umgang mit Altertümern untergegangener Zivilisationen. Es ist sicher kein Zufall, dass sich das einleitende Zitat des Buches nicht nur auf die gewaltigen Anstrengungen bezieht, die Schliemann und Co bei der Suche nach Troja an den Tag legten, sondern auch auf all jene, die noch in der Gegenwart um den Schatz kämpfen: Quid non mortalia pectora cogis, auri sacra fames? (Wozu bringst du die Herzen der Sterblichen nicht, verfluchter Hunger nach Gold! Vergil, Aeneis)
Bibliografische Angaben
Titel: Schliemann und das Gold von Troja – Mythos und Wirklichkeit
Autor: Frank Vorpahl
Genre: Biografie
Verlag: Galiani Berlin
ISBN: 978-3-86971-245-1
Erscheinungsdatum: 2021
Format (Umfang): Hardcover (364 Seiten)