Ein Held wider Willen

Sharpes Feuerprobe von Bernard Cornwell ist der Auftakt einer Buchreihe, die mittlerweile über 20 Bände umfasst. Das Buch führt uns mitten in ein britisches Militärlager im schwülen und hart umkämpften Indien Ende des 18. Jahrhunderts.

Direkt vor den belagerten Mauern der Festung Seringapatam wird der Gefreite Richard Sharpe in ein Abenteuer gezwungen, bei dem er eigentlich nur eine Geisel aus der Stadt befreien soll. Nur. Doch dabei bleibt es nicht, denn obwohl sich Richard Sharpe mit allem, was ihn auszeichnet, der Rolle des Helden verweigert, gelangt er in der feindlichen Stadt an Informationen, die nicht nur über Bestehen oder Niedergang der Stadt entscheiden werden, sondern damit auch über das Leben seiner Kameraden, die die Mauern stürmen sollen.

Ein schonungsloses, historisches Abenteuer

Bernard Cornwell beweist – und das gleich zu Beginn des Buches – ein hervorragendes Wissen über das britische Militär dieser Zeit und setzt das auch in akribisch korrekten Beschreibungen ein, um ein völlig entromantisiertes, grausames Bild der Kriegszustände und all derer, die darin verwickelt sind, zu zeichnen. Das gilt für die Szenerie des trostlosen Militärlagers ebenso wie für die Charaktere, deren Dienstgrad man allein schon an Wortwahl und Tonfall erkennt – was ungemein hilfreich ist, denn die Informationsfülle ist zu Beginn eine schwer verdauliche Kost und unter Umständen braucht man einige Anläufe, um in den Sog der Geschichte zu geraten.

Diese Mühe lohnt sich jedoch, denn hat man einmal das erste Drittel von Sharpes Feuerprobe verdaut und sich mit den grundlegenden Begrifflichkeiten und Prinzipien vertraut gemacht, entfaltet sich ein durchaus rasantes, spannend und detailreich erzähltes Abenteuer um Richard Sharpe. Die Schauplätze sind abwechslungsreich und die Verkettung der Aktionen ist nachvollziehbar, wobei sie durch den Umstand, dass der historische Rahmen auf wahren Begebenheiten beruht, noch viel mehr Gewicht bekommt. Auch die Alterseinstufung ab 16 Jahren beweist regelmäßig ihre Rechtmäßigkeit, denn Cornwells Schilderung bestialischer Foltermethoden und Strafen ist gerade durch ihre nüchterne, beinahe schon objektive Art eine Herausforderung für das Kopfkino. Im Vergleich dazu wirken die Schilderungen dessen, was die Soldaten in den tatsächlichen Schlachten überleben und ertragen müssen, schon beinahe bagatellisiert. 

Alles in allem ist Sharpes Feuerprobe ein forderndes, mitreißendes und sprachlich wunderbar akzentuiertes Abenteuer in einem zumindest in der deutschen Literatur nicht ganz so prominent vertretenen Setting.

Sharpes Feuerprobe

Das Schlimmste kommt zum Schluss

Ein kleiner Wermutstropfen wartet jedoch für aufmerksame Leser im letzten Satz des Buches, denn er offenbart, dass der Titel des Buches aus dem Englischen nicht nur falsch, sondern komplett sinnentfremdet übersetzt wurde. Wer auch immer dafür verantwortlich zeichnet, darf sich des Unmuts Bernards Cornwell sicher sein, der sich um die titelgebende Pointe betrogen sehen dürfte. (Dass dem so ist, zeigt übrigens auch der zweite Teil der Serie: Sharpes Sieg. Denn hier kommt das gleiche erzählerische Stilmittel zum Einsatz.) Umso schlimmer wiegt diese Entscheidung, als dass der ursprüngliche Titel (Sharpe’s Tiger) meines Erachtens wesentlich besser zum Buch passt als Sharpes Feuerprobe.

Bibliografische Angaben

Titel: Sharpes Feuerprobe
Autor: Bernard Cornwell
Genre: Roman
Verlag: Lübbe Belletristik
ISBN: 978-3-404-18309-8
Erscheinungsjahr: 2020
Format (Umfang): Taschenbuch (478 Seiten)