Über eine wahre Lüge
In Die unverhoffte Genesung der Schildkröte aus der Feder von Marc Bensch erfindet ein windiger Journalist eine Geschichte für seine Tageszeitung und ahnt nicht, dass diese einen wahren Kern hat.
Damit setzt er ein Geschehen in Bewegung, das nicht nur ihn selbst und seine Geschichte betrifft, sondern auch zwei, drei andere Personen, die auf ganz verschiedene Art und Weise im und am Leben gescheitert sind und über diese erfundene Geschichte einen gemeinsamen Feind, einen gemeinsam Gegner erkennen, der jedoch außerhalb der Geschichte liegt.
Ein Buch mit unerwartetem Geruch und überraschendem Twist
Ich kaufte ein eingeschweißtes Exemplar des Buches, das nach dem Auspacken aus irgendwelchen Gründen jedoch nach kaltem Zigarettenrauch roch. Normalerweise finde ich so etwas eklig, erkannte jedoch schon mit dem Intro, dass diese spezielle Eigenart ganz hervorragend zu der Atmosphäre des Buches passte. Ab diesem Moment fand ich es großartig.
Die Idee des Buches, die Figuren sich als solche erkennen zu lassen, bietet durchaus Spielraum für philosophische Interpretationen, wenn man es möchte. Doch auch ohne diesen tiefgreifenden Ansatz in den Vordergrund zu stellen, liefert dieser inhaltliche Twist ein enormes Unterhaltungspotential. Dieses entfaltet tatsächlich in der Mitte des Buches seinen Höhepunkt und sorgt dafür, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legen will, weil man über diesen Trick des Autors Marc Bensch absolut begeistert ist.
Trotzdem bleibt vor allem gegen Ende des Buches der Eindruck, dass man aus dieser Idee noch sehr viel mehr hätte herausholen können. Denn zu der Wahrheit des Buches gehört auch, dass im letzten Viertel des Buches viele Dinge ganz im Sinne des Plot Twists nur noch in Andeutungen erzählt werden (können). Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Geschichte zu schnell zu ihrem Ende gebracht wird. Nur bei näherer Betrachtung entpuppt sich, dass es dem Buch möglicherweise gar nicht um die zu erzählende Geschichte selbst geht, sondern viel mehr um die bereits angedeutete Erkenntnis der Figuren. Zu dieser These passt, dass sich der Titel des Buches erst im Epilog erschließt.
Ein Herz für Schrulligkeit
Der Sprachstil ist durchweg eingängig, locker und entspannt, ohne zu sehr ins Alltagssprachliche abzurutschen. Der Erzähler tritt bewusst als solcher auf und nutzt diese Perspektive, um das Geschehen subjektiv und emotional zu kommentieren. Die Charaktere bedienen hierbei auf den ersten Blick einige Stereotypen. Doch werden in den Verlauf der Geschichte einige Rückblicke auf die jeweiligen Hintergründe der Personen eingebaut, sodass die Figuren völlig authentisch und in ihrer Schrulligkeit sympathisch erscheinen.
Ist Die unverhoffte Genesung der Schildkröte ein Buch, das man zweimal lesen wird? Vermutlich nicht, da der Plot Twist so markant ist, dass er einem im Gedächtnis bleiben und somit immer den Reiz des Buches vorwegnehmen wird. Doch verdient es die Idee in jedem Fall, wenigstens einmal gelesen zu werden, weshalb ich das Buch empfehlen kann.
Bibliografische Angaben
Titel: Die unverhoffte Genesung der Schildkröte
Autor: Marc Bensch
Genre: Roman
Verlag: Carpathia Verlag
ISBN: 978-3-943709-70-4
Erscheinungsdatum: 2019
Format (Umfang): Hardcover (304 Seiten)